Morde finden statt, zu allen Zeiten und an allen Orten. In meinem Stück erschlägt ein vierzigjähriger Mann seine Frau und sein Kind mit einer Axt. Sein Leben ist bis zu diesem Moment ein „wohltemperiertes“, er hat einen guten Job, eine kluge und hübsche Frau und ein süßes Kind. Sofort erhebt sich die Frage nach dem „Warum“ seiner Tat, und alle versuchen, eine Antwort darauf zu finden: die Psychiater, die Journalisten, die Richter und manchmal sogar der Täter selbst. Ich habe in der Anstalt für sexuell abnorme Rechtsbrecher mit einem Mann gesprochen, einem ehemaligen Beamten, der eine Prostituierte ermordet hat. Er konnte sich die Gründe für seine Tat auch nicht erklären und sprach darüber mit Abscheu.

Ich versuche in meinem Theaterstück eine etwas andere Frage zu stellen: Was findet alles im Zusammenhang mit einem Mord statt? Wenn jemand seine Familie mit einer Axt umbringen will und in den Baumarkt geht, um eine solche zu kaufen, wie läuft sein Gespräch mit dem Verkäufer ab? Was antwortet er, wenn ihn der Verkäufer fragt, wozu er die Axt eigentlich braucht? Nimmt er eine aus dem Sonderangebot? Welche Menschen trifft der Mörder noch an diesem Tag und wie verhält er sich ihnen gegenüber? Wenn er kurz vor dem Mord sein Kind zu Bett bringt, erzählt er ihm eine Gute-Nacht-Geschichte? Ich möchte mich der großen Frage nach dem „Warum“ mit scheinbar kleineren Fragen nähern. Vielleicht erfährt man etwas über das Zentrale, das Mörderische, indem man die Peripherie abschreitet? Und vielleicht ist unsere Gesellschaft eine generell „mörderische“? Vielleicht verbergen sich hinter den sichtbar gewordenen Taten von wenigen die verborgenen Abgründe von vielen?
(Peter Turrini zu seinem Stück „Aus Liebe“, 2013)