Ulrich Reinthaller. Werther. Theater an der Wien.

Goethe hat sich im Alter gewünscht, „Mozart hätte den Faust komponieren müssen“. Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt. Aber einer seiner Zeitgenossen – ebenbürtig einem Gluck, Mozart oder Haydn – hat den Werther komponiert: Gaetano Pugnani. Er war ein typischer Vertreter der Übergangszeit zur Wiener Klassik und wurde bis ins 20. Jahrhundert speziell von Violinvirtuosen hochgeschätzt. Natürlich konnte Pugnani nur etwa ein Viertel des Goetheschen Briefromans auf die Bühne bringen, und das geschah auf Italienisch.
Pugnani hat seinen zweiteiligen „Melologue“ etwa zur Zeit der Anwesenheit Goethes in Italien geschrieben. Die beiden sind einander jedoch nie begegnet. Und Goethe hat offenbar auch in späteren Jahren nichts von dieser Komposition erfahren.
Sozusagen im Dialog zwischen Musik und Darsteller nimmt Pugnani einerseits geschickt die sich steigernde Dramatik der Handlung auf, andererseits antizipiert er bereits Beethovens Pastorale. Das Genre Melodram eröffnet eine ungeheure Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten und Interpretationen. Leider geriet diese sich so interessant ergänzende Einheit von Musik und Literatur in Vergessenheit.
Pugnanis legendäres Werk war lange verschollen. 1996 – fast 200 Jahre nach seiner Aufführung am Wiener Burgtheater – wurde es in der Musiksammlung der Wiener Philharmoniker wiederentdeckt und rekonstruiert. Die
Aufführung am Theater an der Wien koppelt Pugnanis Musik nun mit dem deutschen Originaltext des Werther. Musik und Literatur verbinden sich zu einem wunderbaren Kosmos der Empfindsamkeit, der Liebe und der Verzweiflung.